Deutsch von Helga Pfetsch
Orlando: Hagen Oechel
Letitia: Therese Hämer
Alejo: Andreas Seifert
Olimpia: Barbara Teuber
Nena: Petra Kalkutschke
Regie: Karsten Schiffler
Ausstattung: Bettina Weller
Musik Martin: Magestro
Dramaturgie: Irma Dohn
"Orlando macht im Dunkeln in der linken hinteren Ecke des Eßzimmers Hampelmann. Langsam beleuchtet ihn ein Scheinwerfer. Er trägt eine Militärhose mit Hosenträgern und Reitstiefel. Er macht
Hampelmann, solange es sich aushalten läßt. Wenn er aufhört, wird langsam die Mitte des Raumes sichtbar. Ein Stuhl steht hinter dem Tisch. Links auf dem Tisch liegt ein Leinenhandtuch. Orlando
trocknet sich das Gesicht mit dem Handtuch ab und setzt sich, wobei er sich das Handtuch um den Hals legt.
ORLANDO: Dreiunddreißig und ich bin noch Leutnant. In zwei Jahren werde ich befördert oder ich verlasse das Militär. Ich verspreche, ich werde keine Zeit damit zubringen, mir leid zu tun. - Ich
werde vielmehr die Lage prüfen und eine wirkungsvolle Strategie entwickeln. Ich muß alle Hindernisse beseitigen. Ich werde Leute kennenlernen, die Macht haben. Wenn ich das nicht aus eigener
Kraft erreiche, werde ich eine Frau aus höchsten Kreisen heiraten. Letitia darf kein Hindernis sein. - Der Mensch muß ein Ideal haben, und meins ist größtmögliche Macht. Das ist mein Schicksal. -
Kein anderes Interesse wird mich davon abbringen. - Mein Trieb schadet meinen Idealen. Ich muß meine Geilheit in den Griff kriegen, sonst werde ich mein Ziel nie erreichen. (Das Licht
verlischt.)"
Premiere am 17. Januar 1997, Werkstattbühne
So leben wir: in alltäglicher Gewalt
Zur deutschsprachigen Erstaufführung eines 1985 geschriebenen Stückes der Kubanerin Maria Irene Fornes am Bonner Theater
Von Ulrich Schreiber
BONN. "Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt." Mit diesen Worten argumentiert Lessings Emilia Galotti ihre Ermordung durch den eigenen Vater
herbei: aus Sorge, dem Tugendkanon ihrer gesellschaftlichen Klasse nicht zu genügen. Das ist im Anfangsstadium des bürgerlichen Trauerspiels eine bedrückende Verbindung von Gewalt und Sexualität.
Vielleicht konnte erst ein feministisch geschärfter Blick in Emilias Ringen um den Dolch des Vaters eine besondere Art des Liebesspiels erfassen. So ließ Ulrike Prokopp ihre Interpretation des
Dramas, geschrieben für Andrea Breths 1980 in der Freien Volksbühne Berlin herausgekommene Inszenierung, in die zutreffend paradoxe Feststellung münden: "Die Macht des Mannes ist die Tat der
Frau."
Harald Clemen hat in der letzten Spielzeit die entscheidende Szene zwischen Vater und Tochter im Bonner Schauspiel, wo es einen beachtlichen Lessing-Zyklus gibt, auch in diesem Sinne inszeniert:
als Liebesspiel. Und die Emilia-Problematik wird nun in der Werkstatt hinter der Bonner Oper aus feministischer Sicht ins Heute fortgeführt: mit der deutschsprachigen Erstaufführung des 1985
geschriebenen Stücks So leben wir der Kubanerin Maria Irene Fornes (66).
Der Plot der früh in die USA ausgewanderten Autorin, die dort essayistisch durch Susan Sontag, im deutschen Sprachraum durch Marlene Streeruwitz als Übersetzerin und Regisseurin bekannt gemacht
wurde, ist einfach. In einer lateinamerikanischen Militärdiktatur steigt der Leutnant Orlando hierarchisch auf, weil er sich - das bekommt der Zuschauer nur als verbalen Reflex mit -, zu einer
Foltergruppe abkommandieren läßt. Die in seinem Bewußtsein erfolgte professionelle Deformation der Gewalt zur alltäglichen Norm des Lebens prägt Orlando auch im privaten Bereich. Seinem starken
Sexualtrieb genügt offenbar die etwas ältere Ehefrau Letitia nicht mehr, so holt er sich aus einem Waisenhaus die halbwüchsige Nena. Er hält sie in einem Lagerraum seines Hauses wie ein Tier
gefangen und benutzt sie brutal als Objekt seiner Triebabfuhr: sexuelle Gewalt ohne jede Verführung. Da die Köchin Olimpia das Mädchen mit Nahrung versorgt, kommt Letitia hinter das Treiben.
Orlando mobilisiert nun seinen männlichen Herrschaftswahn, um der eigenen Frau mit Gewalt das erlogene Geständnis eines Fremdgehens zu entreißen.
Das ist, in Umkehrung von Lessings Vorbild, ein männlicher Versuch der Selbstrettung, indem der Frau ein Schuldbewußtsein von der eigenen Verführbarkeit eingefoltert wird: ein makabrer Triumph
des Machismo. Doch die Situation kippt um, die Macht des Mannes wird ohne jedes Paradox zur Tat der Frau: Letitia erschießt Orlando.
Diese Handlung ist nicht nur thematisch von Interesse, sondern auch künstlerisch. Maria Irene Fornes bedient sich insofern einer weiblichen Ästhetik, als sie weitgehend auf eine - dem Verdacht
klammheimlicher Verherrlichung verdächtige -, Ausübung körperlicher Gewalt verzichtet. Wenn diese, wie in der Vergewaltigung Lenas durch Orlando, unumgänglich ist, bleibt sie auf das Nötigste
beschränkt - zu Recht hat Susan Sontag festgehalten, Maria Irene Fornes werde nie zur Komplizin der Gewalt, die sie darstellt. Das ist gegenüber dem leichtfertigen (Männer-)Umgang mit Gewalt auf
unseren Bühnen eine Qualität, die der junge Regisseur Karsten Schiffer in Bonn minuziös beachtet.
Die neunzehn Szenen sind meist knapp, entwickeln nur ein einziges diskursives Gespräch auf der untersten Sozialebene zwischen der Köchin, die Barbara Teuber in geradezu explodierender
Volkskindlichkeit spielt, und dem Waisenmädchen, dem Petra Kalkuschke Symptome eines gestörten Sozialverhaltens mitgibt. Der Rest ist äußerst kurz gehalten, sozusagen behavioristisch: In den
Worten der Figuren spiegeln sich reflexartig ihre Handlungen oder motivieren diese. Das wird, eher abstrahierend als einfühlend, im Stil eines situativen Lehrstücks durchgezogen, ohne daß eine
plakative Lehre verkündet würde. Unser alltägliches Leben mit Gewalt, die sich wie im Fall der Köchin auch sozusagen unschuldig gegen Dinge richten kann, läßt den Zuschauer erschrecken ob des
Maßes, in dem der bürgerliche Tugendkanon seit Lessing zuschanden gegangen ist.
Bettina Weller hat die Szene in einen Rahmen gestellt, der kolonialherrschaftliche Vergangenheit durchschimmern läßt. Vor Beginn der Aufführung hören wir aus dem Off, was wir in einem Prolog dann
auch sehen: Wie dem Leutnant Orlando, den Hagen Oechel von allem Outrieren fernhält, die Gymnastik im Vollgefühl der Herrschaft über den eigenen Körper zum Orgasmus wird. Die lichttechnisch
sauber getrennten und durch harte Rock-Rhythmen (Martin Magestro) akustisch untermalten Szenenwechsel lassen die punktuelle Dramaturgie des Stücks zum Kontinuum werden: eine auch dank Therese
Hämer, die der Letitia Geradlinigkeit ohne Anflug von Märtyrertum oder Hysterie verleiht, starke Aufführung. Sie wurde, wie nach dem Abstreifen eines Alptraums, vom Publikum mit wachsenden
Beifall bedacht.
Von Ulrich SchreiberKritik Frankfurter Rundschau
BONN: Mißbrauch als Brauchtum
Maria Irene Fornes "So leben wir" (Werkstattbühne, DE)
Sexueller Mißbrauch von Kindern ist als Empörungsanlaß auch deshalb so beliebt, weil man immer weiß, wer Recht hat. In der allgemeinen Verunsicherung steigt das Bedürfnis nach Moral in demselben
Maße, wie die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Moral abgebaut werden. Wem alle Maßstäbe für die Bewertung sexuellen Verhaltens abhanden gekommen sind, der weiß immer noch dies: nicht mit
Kindern.
Angesichts dieser zwiespältigen Diskussionslage gelingt dem Bonner Schauspiel mit seiner Inszenierung von Maria Irene Fornes' Stück "So leben wir" ein erstaunliches Kunststück: Aktualität und
quertreiberische Nachdenklichkeit zu verbinden.
Die Autorin relativiert nichts. Die moralischen Positionen des Stücks und der Inszenierung sind makellos. Sie sind es, weil sie die moralische Verurteilung nicht aufdrängen, sondern voraussetzen.
Die weibliche Perspektive hat es nicht nötig, Entrüstung zu demonstrieren. Das Stück kann es sich leisten, zu allen Figuren gleiche Distanz und Nähe zu halten.
Maria Irene Fornes wird langsam auch in Deutschland bekannter. Marlene Streeruwitz hat durch Übersetzungen und Inszenierungen einiges dazu getan, ihre Schwester im Geiste auf deutschen Bühnen
durchzusetzen. In New York gehört die gebürtige Kubanerin schon seit langem zur (etablierten) Off-Theater-Szene. Auch das jetzt in Bonn vorgestellte Stück ist kein Schnellschuß zur aktuellen
Diskussion, es war schon vor zwölf Jahren in New York ein Erfolg.
Orlando, Leutnant in einem diktatorisch regierten lateinamerikanischen Land, macht seine private Leidenschaft zum Beruf. Er wird Folterer und holt sich ein zwölfjähriges Straßenkind in den
Keller, zur häuslichen Triebentsorgung, damit die Karriere um so reibungsloser läuft. Als seine Frau davon erfährt, erzwingt er als professioneller Demütiger von seiner Frau das falsche
Geständnis, einen Liebhaber zu haben. Darauf erschießt sie ihn und drückt die Pistole dem Mädchen mit einem auffordernden "Bitte" in die Hand.
Diese plakative Geschichte, die alles, was man schon immer am Machismo haßte, zu einem Alptraum bündelt, wird gradlinig und schnörkellos erzählt, auf die wesentlichen Wendepunkte und Motive
reduziert. "Emotionale Vielschichtigkeit und moralisches Engagement vermittelt durch erbarmungslose Einfachheit", nannte ein New Yorker Kritiker Fornes' Verfahren.
Karsten Schiffler, dessen erste Inszenierung mit Schauspielschülern der Westfälischen Schauspielschule am Schauspielhaus Bochum gleich zum Berliner Theatertreffen
eingeladen worden war, hat in Bonn aus diesem kleinen, aber scharf geschliffenen Stückchen einen erstaunlich stilsicheren Theaterabend gemacht. Er trifft die Atmosphäre von heimlicher Gewalt,
intensiven, aber zerstörten Gefühlen und kühler Ordnung, ohne Aktionismus, ohne Sentimentalität.
Die Bühne (Bettina Weller) ist ein düsteres, protziges Zimmer, ein marmornes säulengestütztes Mausoleum mit zwei seitlichen Anbauten. Dort in den schäbigen Gelassen unter der bürgerlichen
Wohlanständigkeit vegetiert das Mädchen. Aggressive, mechanische Musik und kalte Beleuchtungseffekte prägen die Stimmung. Die verhaltene, noch in der Darstellung von Gewalt und Sexualität bewußt
entsinnlichte Spielweise wird durch die fast komische, exaltierte Haushälterin Olimpia (Barbara Teuber) durchbrochen. Sie schimpft und krakeelt, streitet mit der Hausherrin über die Anschaffung
eines Dampflkochtopfes in so absurder Ausführlichkeit, daß man schon meint, in einen Ionesco geraten zu sein. Der Folterer Orlando (Hagen Oechel) ist ein großer, kräftiger Bubi voll gefühlloser
Sentimentalität. Wenn er zu seinem Opfer spricht und sein Verhalten erklärt: "Es ist Liebe. Es ist ein stilles Gefühl.... Es ist mein wirkliches Ich. Und das schenke ich dir ... Es ist ein
Verlangen zu zerstören, Dinge zerstört zu sehen und ihr Inneres zu sehen. Das ist meine Natur", dann liegt saurer Kitsch nahe. In der Bonner Inszenierung ist es aber nachdenklich und einfach
gesprochen, ein riskanter Versuch, auch diesen Menschen zu verstehen. Seine Frau Leticia (Therese Hämer) erstarrt immer mehr in ihrem Versuch, die Fassade des geordneten Lebens
aufrechtzuerhalten, bis sie schließlich zerbricht und schießt. Die Pistole in der Hand des Mädchens Nena (Petra Kalkutschke) wird schließlich zum Zeichen der allgemeinen Ratlosigkeit. Hat Leticia
es für Nena getan? Wohl kaum. Fordert sie Nena auf, sie zu erschießen? Dem Opfer wird das Symbol der Gewalt weitergereicht, aber was soll es tun? Die Inszenierung verhüllt ihre Ratlosigkeit
ebensowenig wie die Autorin.
Gerhard Preußer - Theaterheute
Psychologie der Folter
"So leben wir" von Maria Irene Fornes in Bonn erstaufgeführt
Von EVA SCHÄFERS
Bonn (eig. Ber.). Das Mädchen weiß, warum Orlando es schlägt: "Weil ich dreckig bin ... Der Dreck in mir drin geht nicht weg." Da identifiziert sich das Opfer mit
den vorgeschobenen Rechtfertigungen des Täters. In "So leben wir" setzt sich Maria Irene Fornes mit der Folter auseinander, mit dem Täter, seinem Opfer und ihrer symbiotischen Beziehung. Karsten
Schiffler inszenierte die deutschsprachige Erstaufführung des neuesten Stücks der Exilkubanerin am Schauspiel Bonn.
0rlando, ein lateinamerikanischer Militär, lebt in seinem Haus mit seiner Frau Leticia und dem Dienstmädchen Olimpia. In seinem Keller hält er ein zwölfjähriges Mädchen gefangen, das er
mißhandelt und vergewaltigt. Petra Kalkutschke spielt Nena, das verdreckte und verschreckte Straßenkind, das entfernt an einen weiblichen Kaspar Hauser erinnert. Orlando gebraucht sie wie eine
Gummipuppe. Wenn er sich an ihr befriedigt hat, hängt er sie mit einem Kofferriemen an die Wand.
Orlando foltert. Einem Opfer hat er ein Brandeisen ins Genick gesetzt, nur um zu sehen, ob und wie es reagiert. Folterer "experimentieren" gern, wollen herausfinden, wieviel ein Mensch aushält.
Das bewegt auch Orlando - es gebe Opfer, deren Nerven direkt unter der Hautoberfläche lägen. Die schrieen bei der kleinsten Berührung. Fornes räumt auf mit der Vorstellung, daß sich folternde
Militärs zu Hause in unauffällige Rosenzüchter verwandeln. Orlandos soziale Kommunikation besteht in Gewalt.
In einer Szene schläft er auf dem Eßtisch, zuckt und krümmt und windet sich im Schlaf. Als Leticia mit ihrem Finger leicht seinen Bauch berührt, schreit er wie am Spieß. Im Traum ist er das
Opfer, und zwar eins mit den Nerven direkt unter der Haut. Hagen Oechel spielt das brüllende Mannstier, doch ihm gelingen auch die leiseren Töne.
Die Señora und das Dienstmädchen sind bei Schiffler selbstbewußter und stärker als in Fornes' Text angelegt. Das ist nicht unproblematisch bei der Rolle der Leticia, die sich mitschuldig macht,
weil sie vor dem Unrecht an Nena so lange die Augen verschließt. Therese Hämer, eine sehr lebendige Schauspielerin mit starker Bühnenpräsenz, gibt ihr so viel "Power", daß sich der Zuschauer
fragt, warum sie sich gegen Orlando nicht schon früher zur Wehr setzt.
Zwischen den beiden Frauen entspinnt sich eine psychologisch fein nuancierte Szene, als Olimpia die Señora dazu bewegen will, einen Dampfdruckkochtopf zu kaufen. Ihren langen Sermon über die
ewiggleichen Handgriffe zwischen den Töpfen gestaltet Barbara Teuber als temperamentvolle Tirade, mit der sie um Leticias Aufmerksamkeit wirbt. Immer emphatischer wird sie und rudert dabei
verzweifelt mit den Armen. Die Machtprobe um Topf, Fisch, Avocado, Brotpudding zwischen der hilflosen Hausherrin und der schrulligen Olimpia bildet einen komischen Kontrast zum ernsten
Thema.
Die pochende, sehr rhythmische Musik zwischen. den Szenen (von Martin Magestro) erzählt von der inneren Spannung der Frauen, die sich am Ende in einem Gewaltakt entlädt. In der Premiere nicht
endenwollender Applaus für die konzentrierte Inszenierung des kurzen, aber vielschichtigen Gewaltdramas.
Von KLAUS BAUER
exp Bonn - Oberleutnant Orlando strampelt sich ab. Auf und nieder, auf und nieder. Er japst und stöhnt. Bis ihm die Puste ausgeht. Dann erst setzt er sich
schweißgebadet, aber zufrieden lächelnd an den Wohnzimmertisch. Der Mann will nach oben; will Macht. Doch wie's unten aussieht, das bleibt dem Zuschauer nicht lange verborgen. Der durchtrainierte
Orlando hält sich im Keller eine Zwölfjährige: Ihre Qualen bringen ihm Befriedigung.
"So leben wir" heißt das Stück, mit dem das Schauspiel Bonn zum zweiten Mal die 1930 in Cuba geborene, in New York lebende Dramatikerin Maria Irene Fornes auf die Bühne bringt - diesmal in der
Werkstatt. Leben wir so? Ja, wenn man wie die Autorin an der bürgerlichen Oberfläche kratzt und das Tor zur Hölle aufreißt. Kein schöner Anblick.
Der junge, erfolgreiche Regisseur Karsten Schiffler stampft das Böse buchstäblich aus dem Bühnenhoden. Und schaltet immer wieder das bläuliche Geisterlicht an. Dadurch hält er die provozierende
"Lebens"-Geschichte auf Distanz. Keine Gefahr für platten Realismus. Nicht einmal bei den wüsten Szenen im Keller.
Die schweren Säulen und stabilen Eichenmöbel in der guten Stube (Ausstattung: Bettina Weller) stehen im Kontrast zu den morschen Figuren, die sich darin eingerichtet haben. Jeder unterdrückt
jeden. Der Mann (Hagen Oechel), das hilflose Mädchen (Petra Kalkutschke) und seine ungeliebte Frau (Therese Hämer), die Frau, die alte Haushälterin (Barbara Teuber), die sich mit Gebrüll zum
Gegenangriff aufschwingt. Klar und deutlich formuliert. Abhängigkeiten - auch die sexuellen - müssen nicht erst umständlich erklärt werden. Und die Schauspieler vollbringen das Kunststück, die
zwei Seiten eines Menschen - die helle und die finstere - aufzuzeigen. Ganz selbstverständlich. Verdienter Beifall.
Das Geschlecht der Gewalt
Deutsche Erstaufführung: "So Leben Wir" von Maria Irene Fornes in der Werkstattbühne Bonn
Vergewaltigung, Folter und Mißbrauch sind die sperrigen Themen des 1985 in den USA uraufgeführten Stückes "So Leben Wir" von Maria Irene Fornes. In den USA als bestes Gegenwartsstück ausgezeichnet, ist es nun in der Bonner Werkstattbühne unter der Regie von Carsten Schiffler erstmals auch in Deutschland zu sehen.
Die Szene: Ein Haus in irgendeinem Land in Lateinamerika, unter irgendeinem Militärregime, in dem Folter an der Tagesordnung ist. Orlando ist 33 und Oberleutnant. Im Keller seines Hauses hält er
die zwölfjährige Nena gefangen, die - jederzeit verfügbares Opfer - von ihm vergewaltigt und gefoltert wird.
Grund für die späte Aufnahme in Deutschland körnte rächt zuletzt die unbequeme, weil feministische Sichtweise sein, mit der Fornes ihre Themen angeht. Folter als militärisches Machtinstrument,
Vergewaltigung und sexueller Mißbrauch eines Mädchens, Gewalt in der Ehe: Was hier zur Debatte steht, ist die Geschlechterzuordnung der Gewalt. Die Rollenzuordnung - Gewaltbereitschaft und
Machtstreben als männliches Lebensprinzip - erscheint bei Fornes derart universal, daß man dahinter zunächst eine Pauschalverurteilung alles Männlichen vermuten möchte. Doch dem entgeht das
Stück, indem es mit Letitia und der Haushälterin Olimpia Figuren zeigt, die ein weibliches Gegengewicht setzen, und an denen Fornes verdeutlicht, daß es innerhalb von Gewaltmechanismen nicht nur
Opfer und Täter gibt, sondern auch die verschiedensten Schattierungen von Mitwissern, Mittätern, Mitopfern. Ihr Verhalten ist der eigentliche Gegenstand des Stücks.
Im Mittelpunkt steht Letitia, die sich immer weiter aus dem Schatten ihres Mannes herauswagt, die beginnt Fragen zu stellen, sich für die politischen Verhältnisse in ihrem Land zu interessieren. Doch mit zunehmendem Weitblick ist es ihr auch nicht länger möglich, die Vorgänge im Keller zu ignorieren. Ihre Bitte an Orlando, die junge Nena wenigstens nicht zum Weinen zu bringen, ist der letzte Versuch eines Arrangements. Doch als sie schließlich seine Gewalt am eigenen Körper zu spüren bekommt, als ihr Mann sie der Untreue bezichtigt und ihr ein "Geständnis" abringt, übt sie Widerstand, indem sie Orlando erschießt. Ob diese Tat als eine tatsächliche Befreiung zu deuten ist, läßt das Stück offen. Nicht aber die Inszenierung: Dem scheinbar erlösenden Schuß folgt nicht Erleichterung, sondern Unglauben und Trauer angesichts der Tat, der Verletzung der Gewaltlosigkeit als eigenem Lebensprinzip.
Der Schuß setzt dem Stück ein abruptes Ende und entläßt den Zuschauer in eine Atmosphäre, die noch lange von der Intensität des Spiels (Hagen Oechel, Therese Hämer,
Andreas Seifert, Barbara Teuber, Petra Kalkutschke), vor allem aber vom unerbittlichen Realismus der Inszenierung geprägt ist. Ohne jede "Flucht" in einen unverbindlichen Formalismus zeigt
Schiffler die verschiedenen Formen der Gewalt, brutal oder subtil, offen oder verdeckt. Stets sucht er die Nähe zur Rampe, zum Publikum. Die dreigeteilte Bühne, auf der zum Teil parallel gespielt
wird, verdeutlicht die Nähe, aber auch den Kontrast zwischen der scheinbaren Normalität des häuslichen Lebens und den Orten der Gewalt.
Auch wenn man sich nicht auf einen feministischen Diskurs einlassen will, wenn man Fornes' Blickwinkel ablehnt: Ihre gesellschaftspolitischen Thesen fordern zur Auseinandersetzung heraus. Und was
allemal Bestand hat, ist eine überzeugende Inszenierung.
CHRISTINE POST