Deutsch von Monika The
Ein Herr
Inszenierung
Ausstattung
Gramaturgie
Siegfried Gressl
Karsten Schiffler
Birgit Stoessel
Eilhard Jacobs
"Glaubst du denn an überhaupt nichts, Mutter?
Nein, natürlich nicht. Man ist einfach ein Blatt an einem Baum, das runterfällt und vergeht. Siehst du den Baum da, so schön mit dem ... weil das Licht da so ... ich bin nie ... ich wußte nie,
daß es so, so schön sein kann. Alles ist so schön, und du, du strahlst so. Wie jung du bist! Wie alt bist du eigentlich?
Was denkst du, Mutter?
Nun, zwanzig, dreißig.
Nein, ich bin schon vierundvierzig.
Bist du schon vierundvierzig?
Ja, und wie alt, denkst du, bist du selbst?
Auch so vierzig, dreißig vielleicht.
Nein, Mutter, du bist schon achtzig.
Bin ich schon achtzig?
Aber, Mutter, du kannst doch nicht genauso alt sein wie ich.
Das stimmt, ich bin ja schließlich deine Mutter.
Ja."
Premiere am 2. Oktober 1996, Studio im Grillo-Theater
Mit der Inszenierung von Joop Admiraals "Du bist meine Mutter", die im Grillo-Studio Premiere hatte, bewies Regisseur Karsten Schiffler sein Gespür für Gleichgewicht.
Auf der Gratwanderung zwischen Tragödie und Komödie erschütterte ihn nichts. Er zeigte zwei Menschen mit ihren Stärken und Schwächen - ohne sie an einen Witz zu verraten. Das gelang ihm vor allem
durch einen hervorragenden Siegfried Gressl, der die genaue Beobachtungsgabe seines Regisseurs in dem Ein-Personen-Stück erstaunlich umsetzen konnte.
Zuerst ist er der Schauspieler Joop, der sich, wie jeden Sonntag, für den Besuch bei seiner Mutter im Altersheim feinmacht und nach Delft reist. Dort angekommen verwandelt er sich mit minimalen Mitteln in seine alte Dame, so als ob ein anderer Mensch von ihm Besitz ergreift. Zunächst ist es nur eine weibliche Stimme, die gebeugte Haltung, dann sind es kleine Schmatzlaute der Lippen und die zusammengekniffenen Augen. Schließlich steigt er ohne Eile in ihre Kleider.
In der widersprüchlichen Ausstattung von Birgit Stoessel stehen Holztisch und Stuhl oder Krankenbett vor hohen dunklen Stahlplatten und verweisen auf den
Mittvierziger, der sich auflehnte, aber nie von seiner Mutter lösen konnte, der immer noch Beige- und Brauntöne trägt, weil sie sie schätzt. Trotz ihrer Gebrechlichkeit bleibt sie die Dominante,
hält das Band der Abhängigkeit bis zum Ende fest in der Hand.
Siegfried Gressl leuchtet seine Figuren feinfühlig aus. Es geht ja auch um Verfall und Tod, dennoch läßt er den Zuschauer nicht in Mitleid und Rührung ertrinken. Mit einem schelmischen Blick über
den Puddingbecher nutzt er die Chance des Komödianten.
Dagmar Schwalm
Von MARTINA SCHÜRMANN
Der Sonntags-Ablauf ist schon ritualisiert: Eine schnelle Zigarette, ein Schluck Kaffee, dazwischen akkurates Blumeneinwickeln, sorgfältiges Schuhezubinden. Dann
macht sich Joop auf den Weg zu seiner an Alzheimer erkrankten Mutter. Eine Reise gegen das Vergessen beginnt, die Joop Admiraal in "Du bist meine Mutter" skizziert hat. Im Grillo-Studio hatte das
Einpersonenstück jetzt unter der Regie von Karsten Schiffler Premiere.
Ein Mann (Siegfried Gressl) spielt sich und seine Mutter. Und wenn diese Zwitter-Figur namens Joop im Pflegeheim mit dem eigenen Körper spricht und langsam die äußerliche Wandlung vom Sohn zur
Mutter vollzieht, indem er der alten Frau beim Anziehen hilft, dann gelingen Siegfried Gressl Momente zwischen anrührender Hilflosigkeit und routinierter Fürsorge, die er mit Stimme und
Körpersprache sensibel auszudrücken versteht.
Da wirkt es auch nicht peinlich oder lächerlich, wenn Gressl mit Spitzenunterhemd und Feinstrumpfhose auf dem Bett hockt und mit zittriger Stimme die Gebrechen einer alten Frau vorführt, deren
Macht über den Sohn dennoch unangetastet scheint. Die Komik entsteht vielmehr aus den skurrilen Wiederholungen bestimmter mütterlicher Erinnerungs-Fragmente, denen sich der Sohn mit einer
Mischung aus Interesse Und Pflichterfüllung stellt. "Das erste Mal hab' ich mich gegen meine Mutter aufgelehnt, da war ich 13", erzählt uns Joop auf seiner Reise von Amsterdam ins Altenheim nach
Delft. Danach hat er sehr geweint und wohl erkannt, daß manche Bindungen bis zum Tod unlösbar sind.
Und so beschreibt "Du bist meine Mutter" - eine autobiographische Geschichte des niederländischen Schauspielers Joop Admiral - nicht nur die wöchentliche Reise in die Vergangenheit, die die
Mutter mit starrsinnigem Bestreben immer wieder ins Bewußtsein zurückholen möchte, sondern das langsame Entfernen von von einer immer unwirklicher werdenden Welt. Nicht das Sterben, sondern die
Erfahrung des Abschiednehmen prägt Admiraals unspektakuläre Handlung, die Regisseur Karsten Schiffler mit sensibler Balance zwischen heiterer Melancholie und schmerzvoller Selbsterfahrung in
Szene gesetzt hat. Viel Applaus für ihn und vor allem Darsteller Siegfried Gressl.
Wenn man jung ist, kann ein Rock schick sein. Oder sexy. Oder elegant. Wenn man alt ist, ist ein Rock vor allem ein Feind: Schwer anzuziehen, eine Stolperfalle und
ein Kleidungsstück, das nicht mehr die Männer, sondern eher einen Oberschenkelhalsbruch provoziert. Das ist eines der seltsamen Dinge über das Alter, die wir Zuschauer im Stück "Du bist meine
Mutter" lernen können. Der niederländische Schauspieler Joop Admiraal hat darin die Beziehung zu seiner 80 Jahre alten, hinfälligen und kranken Mutter beschrieben. Das Besondere: Admiraal hat
stets seine Mutter und den Sohn dargestellt. Siegfried Gressl geht im Grillo-Studio das gleiche Wagnis ein - und gewinnt.
Zuerst stellt er uns den Sohn vor: einen liebenswürdigen, etwas peniblen Junggesellen, der den Robbenfell-Song aus dem Radio mitsummt und sich mit einem Knoten im Schnürsenkel herumärgert. Mit
Bus und Bahn und Blumenstrauß besucht er seine Mutter im Pflegeheim in Delft. Dort nimmt das kleine Schauspiel-Wunder seinen Lauf: Erst verstellt Gressl nur seine Stimme, doch schließlich
verwandelt er sich ganz in eine alte Frau, die manchmal von der Vernunft verlassen ist und in jener Welt der Altersverwirrten wandelt, in der es ein Hier und Jetzt kaum noch gibt. Nur Gefühle und
Erinnerungen kann sie mit ihrem Sohn teilen.
Gressl zeigt die ganze Bandbreite eines Lebens im Pflegeheim: den schwierigen Alltag, das schmerzliche Erkennen des eigenen Zustandes, das kleine Glück über den Schokoladenpudding. Und manchmal
muß man lachen über jene unfreiwillig komischen und zugleich tieftraurigen Gespräche mit dem Sohn, bei denen sich schon nach fünf Minuten Fragen und Antworten wiederholen. Gressl zeigt aber auch
die Verzweiflung des Sohnes, den Frust und die Flucht ins Plappern.
Alles stimmt an diesem Abend, den nur eine sehr genaue schauspielerische Beobachtungsgabe möglich gemacht haben kann. In der Regie von Karsten Schiffler und der Ausstattung von Birgit Stoessel
vermag Siegfried Gressl, das ganze Elend und das kleine Quentchen Glück altersverwirrter Menschen in unser Herz zu tragen.
Bettina Jäger
Wenig im Theater ist definitiv, endgültig oder einfach nur wahr. Doch wie sollte man es anders nennen, als einmal der Schauspieler Joop Admiraal in einem Stück von Joop
Admiraal eine Figur namens Joop Admiraal sowie Joop Admiraals Mutter spielte.
Zehn, vielleicht zwölf Jahre ist dieses Gastspiel des Holländers Admiraal in Bochum nun her, ungezählte Theaterstücke hat der Rezensent seitdem an sich vorbeiziehen
lassen an diesen einen Abend jedoch reichte nichts heran.
Umso schwerer also, sich unvorbelastet einen anderen Schauspieler in dieser Rolle anzusehen. Siegfried Gressl spielt im Studio des Essener Grillo-Theaters nun diesen Joop, der sich jeden
Sonntagmorgen auf den Weg macht, seine Mutter im Pflegeheim zu besuchen. Er kleidet sie an - tatsächlich sich selbst - und führt sie dann in Strumpfhosen, Rock, Bluse und Mantel in den Garten,
bringt sie wieder zu Bett, fährt wieder nach Hause. Über den Erfolg oder Mißerfolg der Inszenierung entscheidet eine Frage: Vergessen die Zuschauer, daß auf der Bühne nur ein Mensch steht? Sehen
sie, wenn der Herr sich durch Stimme, Haltung und Kostüm in seine Mutter verwandelt - und trotzdem auch der Sohn bleibt - auch tatsächlich zwei Figuren? Admiraals Text ist vielleicht das Größte,
was je für kleine Bühnen geschrieben wurde. Er habe all das aufgeschrieben, was seine Mutter gesagt habe, und daraus ein Stück mit dem Titel "Du bist meine Mutter" gemacht, erzählt der Herr auf
der Bühne seiner Mutter. Die Grenze zwischen Autor und Figuren verwischen in dem Maße, wie sie sich zwischen Sohn und Mutter entwickeln.
Siegfried Gressl mag auf den ersten Blick ein wenig zu gesund, zu pausbäckig erscheinen, um sich in eine gebrechliche Frau zu verwandeln. Doch tatsächlich, dieser Eindruck verfliegt nach ein paar
Minuten. Das Wunder funktioniert auch hier: Wer in Karsten Schifflers Inszenierung nicht mehr als eine Person auf der Bühne sieht, ist entweder taub, blind oder jenseits von Gut und Böse. Ein
einziges Mal allerdings loten Schiffler/Gressl nicht die volle Tiefe von Admiraals Text aus. Benachrichtigt, daß seine Mutter gestürzt sei, fährt die Figur Joop erneut ins Krankenhaus - und muß
sich eingestehen, enttäuscht zu sein, als seine Mutter nicht tatsächlich im Sterben liegt. Gressl spielte - zumindest an diesem Abend - über diese Stelle hinweg. Doch das betrifft nur einen
Moment in einer ansonsten schönen und bei aller Stille mitreißenden Vorstellung.
A. L.