Augsburger Theater

Biedermann und die Brandstifter

Von Max Frisch


DER LUZIFER-EFFEKT

Wir wollen an das essenzielle, unveränderlich Gute im Menschen glauben, an seine Macht, äußerem Druck zu widerstehen, an seine rationale Beurteilung und anschließende Ablehnung situativer Versuchungen. Wir sagen dem menschlichen Wesen gottähnliche Qualitäten nach, moralische und rationale Fähigkeiten, die uns gerecht und weise sein lassen. Wir reduzieren die Komplexität des Menschlichen, indem wir eine scheinbar undurchdringliche Grenze zwischen Gut und Böse errichten. Auf der einen Seite stehen wir, unser Geschlecht und unsere Art; auf die andere Seite dieser Linie schleudern wir sie, ihr ungleiches Geschlecht und ihre andere Art. Durch diesen Mythos der Immunität gegen situative Kräfte graben wir uns paradoxerweise selbst eine Grube, indem wir diesen Kräften nicht wachsam genug begegnen. 

PHILIP ZIMBARDO, Der Luzifer-Effekt, Heidelberg 2008


Herr Biedermann: Martin Herrman

Babette, seine Frau: Ute Fiedler

Anna, ein Dienstmädchen: Olga Nasfeter

Schmitz, ein Ringer: Alexander Koll

Eisenring, ein Kellner: Anton Koelbl

Ein Polizist: Philipp von Mirbach

Der Autor: Philipp von Mirbach

 

Inszenierung: Karsten Schiffler

Bühne und Kostüme: Bettina Weller

Dramaturgie: Geeske Otten


 ©A.T. Schaefer


Augsburger Allgemeine

 

Biedermann und die Brandstifter: kurzer Prozess

 

Dieser Abend ist vielleicht fünf Minuten alt, da hockt Schmitz, der Ringer, der hereingeschneite Obdachlose, brettlbreit auf dem zentralen Stuhl des wohlsituierten Hausherrn Biedermann. Schmitz frisst, schmatzt, trifft Dispositionen zur Anbahnung einer gemeingefährlichen Freundschaft, und Biedermann, dieses Kaninchen vor der Schlange, nickt ab. Die Verhältnisse sind also schnell klar in Augsburgs Komödie, die in Sachen Brandschutz ja auch kein flammendes Vorbild abgibt.

 

Karsten Schiffler hat Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ ziemlich flott inszeniert. Das ist kein Drahtseilakt zwischen einer bösen Ahnung und der guten Hoffnung, dieser Albtraum im Hause Biedermann möge zum Schluss hin noch eine unerwartete, originelle Wendung nehmen. Schiffler macht keine Umstände, und die Brandstifter machen kurzen Prozess. Die Aufführung gerät kompakt, effektvoll, saftig – bis hin zu einem Hauch Boulevard: Wenn Schmitz den Senf glasweise auf seinen Teller lädt, geht das Publikum großartig mit. Und es folgt nicht völlig unerwartet die Regisseurs-Abstempelung des Polizisten zu einem Deppen, dann die sich anbiedernden proletarierhaften Rotzeleien Biedermanns und der gedehnte Vampirkuss Eisenrings.

 

Benzinfass-„Ballett“ auf die Mondscheinsonate

 

Liegt die Sache aber so, muss man auch mancher Zwischentöne, mancher Signalsätze entbehren. Der Chor der Feuerwehrmänner entfällt und wird – in Stichworten – dem vergeistigt-dichtenden Dramatiker Frisch an der Seite der Bühne in den Mund gelegt (Philipp von Mirbach). Diese Entscheidung ist verschmerzbar. Auch der Epilog in der Vorhölle ist stark gerafft – ebenfalls verschmerzbar. Aber es geht in dieser Regie so hurtig dahin, dass nicht einmal Platz bleibt für jenen Halbsatz der Frau Biedermann, der bemerkenswert wäre zum zeitbezogenen Verständnis dieses starken Stückes. Sie sagt über ihren Gatten: „Und kaum war er in der Partei –.“ Hier klingt mit einem Gongschlag an, worauf Frischs Brandstifter-Parabel auch zielt: Aus Angst vor materiellem Verlust und Tod begeht Biedermann Selbstmord – indem er sich den Nazis anschloss. 

Zudem ist ein giftiger Aspekt des Stücks die – gestrichene – kleine Rolle des dritten Brandstifters, eines „Dr. phil.“: In ihm wird dargestellt der Intellektuelle an sich, der (fast) alles durchschaut, doch bequem sich ’raushält. Mehr als die Kraft zur Distanzierung bringt er nicht auf – auch ein hübscher Spiegel, den Max Frisch dem Publikum vorhält.

Aber so brandernst wollte Schiffler in der schlichten, betont funktionalen Bühnenausstattung von Bettina Weller offenbar nicht wirken – ihm liegen das arge Lustspiel, die infame Farce, die drastische Groteske, das rasche Feuerwerk näher. Und in dieser Hinsicht sind gelungene szenisch-akustische Höhepunkte: das Benzinfass-„Ballett“ auf Beethovens Mondscheinsonate, der fantasievolle Einsatz von Johnny Cashs „Ring of fire“ und der Bühnenknall, wenn die ganze Sache hochgeht. 

Direkt und stracks agieren die Schauspieler: Martin Herrmann als ein halb geschmeichelter, halb erschreckender Biedermann, der sich durch stetes Kopfwackeln selbst Mut verschafft; Alexander Koll als kolossal selbstsicherer, kolossal unverschämter Schmitz; Ute Fiedler als kreuzbrave Babette Biedermann; Anton Koelbl als mephistophelischer, unterwürfiger Eisenring, Olga Nasfeter als herumgeschubstes Dienstmädchen Anna. Nach 90 Minuten animierter Applaus. Rüdiger Heinze