Freiburger Theater

Londn - L.A. - Lübbenau

Von Oliver Bukowski


Franz Wille in Theater heute 9/96 (Auszug)

"Hinten im Hof, von der Straße gerade noch zu sehen, steht der nagelneue Imbißwagen. Getränke, Eis, Würstchen. Über den Umsatz will das Jungunternehmer-Ehepaar - beide Mitte Vierzig, beide arbeitslos - lieber nichts genaues sagen, aber daß die Abzahlungsraten von 900 Mark im Monat nie reinkommen werden, läßt sich nicht leugnen. Kein Grund zur Traurigkeit, wie der Hausherr dank Sommersonne und zahlreichen selbstgezapften Bierchen im sachten Silbentaumel mitteilt, denn auf der Wiese hinterm Haus soll noch ein Urlaubsdorf aus weiteren 20 gemieteten Caravans entstehen, ergibt, nach der optimistischen Rechnung des Hausherrn bei circa drei Gästen pro Wohnwagen - "drei mal zwanzig macht 120 Feriengäste" - reiche Beute fürs Imbißgeschäft, zumal er obendrein, "als drittes Existenzbein" einen Gebrauchtwagenhandel aufziehen will. Dazu stehen schon zwei Schrottkarren herum, angeblich so gut wie verkauft. Daß das alles irgendwie kaum gutgehen kann, will ihm nicht in den Sinn: "Das klappt, aber 100prozentig", strahlt er in die Kamera.
Kein Stück, sondern schlimmer: die sogenannte Wirklichkeit, dokumentiert von einem Fernsehteam des ZDF, das sich vor Ort nahe Cottbus umgesehen hat, was es mit den Schießbudenfiguren aus Oliver Bukowskis "Londn - L.Ä. - Lübbenau" im echten Leben auf sich hat. (...)"

 

Premiere am 23. April 1998 in der Kamera


Sie: Dina Sikiric

Er: Thomas Hinrich

 

Regie: Karsten Schiffler

Bühne und Kostüme: Bettina Weller

Musik: Martin Magestro / Karsten Schiffler

Dramaturgie: Ralf Waldschmidt



25. April 1998

 

 

Karsten Schiffler inszenierte Oliver Bukowskis
"Londn- L.Ä. - Lübbenau" in der Freiburger Kamera

Ein Liebestod auf Lausitzer Art

Lübbenau ist nicht London. Und schon gar nicht L. A. Aber immerhin haben sie in der Lausitz inzwischen mitgekriegt, daß "Cocktail-Center" besser klingt als "Getränke-Butike", und sie wissen, was productplacement ist: wenn in der Umgebung eines knackigen Hintern plötzlich und unerwartet eine Flasche Kümmerling auftaucht. Und sie haben kapiert, daß der Fortschritt und die Zukunft mit dem Computer kommen.

Wenn Dina Sikiric und Thomas Hinrich auf einem braunen Zweisitzer in ärmlicher Wohnküchenkulisse die Köpfe vor der Wundermaschine zusammenstecken, die aussieht wie ein kleiner Fernseher in Schwarzweiß, und gebannt auf die elektronische Lösung all ihrer Probleme warten (und es sind nicht wenige), ist das komisch und rührend zugleich. Genau dort - das hat Karsten Schiffler begriffen und begreifbar gemacht - hat der Cottbusser Autor Oliver Bukowski seine Figuren angesiedelt. Wer lacht, lacht mit ihnen und nicht über sie. Er denunziert sie nicht. Er liebt sie. Und also stellt sie der junge Regisseur auf Freiburgs Kammerbühne "Kamera" und knüpft damit an seine vielbeachtete und -gelobte erste Arbeit an den Städtischen Bühnen an, Maria Irene Fornes' Dreipersonenstück "Schlamm". Schifflers genauem, aber nicht scharfem, eben nicht entlarvendem, sondern feinfühlig nachspürendem Blick für das, was Menschen aneinanderbindet, scheint die kleine, intime Form besonders gemäß zu sein. Geglückt ist sie durch und durch, die Inszenierung von Bukowskis "Hardcoreschwank" "London - L. A. - Lübbenau", der 1993 (in Cottbus, wo sonst?) uraufgeführt, 1994 mit dem Gerhart-Hauptmann-Preis ausgezeichnet und seitdem von 20 deutschen Bühnen - nicht den großen allerdings - gespielt wurde, was die Taz veranlaßte, schon von einem "Klassiker" zu sprechen. So schnell geht das heute, wenn auch Bukowski, Jahrgang 1961, nicht Werner Schwab ist und allen Selbstinszenierungen bislang erfolgreich ausgewichen ist. Sein Ausdrucksbedürfnis ende am Schreibtisch, hat er eben in seinem ersten Interview erklärt. Sein Widerstand gegen die Mediengesellschaft erhalte ihn in diesem Zustand.

Es stimmt ja auch. Seine Stücke aus der Wendezeit, diese tragikomischen Farcen um die Bewahrung von Würde und Liebe im Scheitern an den sozialen Verhältnissen, sagen alles, und sie sagen es gern im weichen Lausitzer Dialekt mit dem merkwürdigen amerikanischen R, das die Freiburger Schauspieler tapfer, wenn auch nicht durchweg überzeugend in den Breisgau verpflanzt haben. Aber Hochsprache, nein, das brächte die verzweifelt komischen Helden Bukowskis um den ganzen Mutterwitz, der ihnen die Kraft zum Überleben in düsterer Zeit gibt. Und den spielt das Paar Sikiric/ Hinrich mit Hingabe und Leidenschaft aus. "Der Mensch", weiß Er, "tut die Hoffnung brauchen wie der Acker den Mist." Deshalb und weil "die erschte Million immer die schwerste" ist, haben die Gretschkes den Stier der Marktwirtschaft bei den Hörnern gepackt und in der eigenen Garage einen Getränkestand aufgemacht. Den hat Bettina Weiler (Bühne und Kostüme) mit Trabi und Geranientopf nebst bunter Glühbirnchenkette detailgenau ausstaffiert. Da stehen sie nun, Sie herausgeputzt und sonnenbankgeschädigt, Er mit knallbuntem Schlips, beide mit Partytellern bewaffnet, in einer ganz offenbar gottverlassenen Gegend, wie das Krähenkrächzen vom Band eindringlich suggeriert: groteskes Zerrbild der durchgestylten Konsumwelt, wie sie der parallel zum Geschehen stumm laufende Fernseher abbildet.

Doch bei vordergründiger Kritik an den Mechanismen der Marktwirtschaft bleibt Schifflers Inszenierung nicht stehen, sehr im Einklang mit Bukowski ("Ich schreibe kein Stück über die Gründung eines Getränkemarkts, sondern über eine Liebesbeziehung unter dem Außendruck der Verelendung"). Sie fassen sich derb an, die Gretschkes, sie streiten bis zum alles hinwegfegenden Ausbruch vernichtenden (Selbst-)Hasses ihrerseits, den Er mit hilfloser Aggressivität gegen die Dinge, gegen Sie, gegen sich selbst beantwortet. Die Liebe zittert, sie bebt, sie wankt, zuletzt. unter dem ohrenbetäubenden Lärm eines abstrus entfesselten Computerspiels doch sie hält stand. Das ist fast ein Wunder. Daß man es glaubt, bereitwillig, zustimmend, liegt vor allem an Dina Sikiric. Wie ihr die Umschwünge von Verletztheit in Zärtlichkeit gelingen, vom Schreien ins Schnurren, von der schürzenbewehrten Hausfrau in die Verführerin, wie sie zuletzt bei ausströmendem Herdgas ihren "Bären" mit gebratener Ente und Reizwäsche umgarnt und so einen Liebestod auf Lausitzer Art inszeniert: Schlichtweg fabelhaft. Thomas Hinrich muß essen und trinken, als ob er's bezahlt bekäme, und gibt in einem auch sonst beeindruckenden Kraftakt den gutmütigen Polterer mit der unverwüstlichen Zuversicht im Herzen.

Wenn es ein Happy-End gibt in diesem "Hardcoreschwank", dann nicht wegen des ein bißchen zu spät gezogenen Sechsers im Lotto. Sondern der Rettung der Liebe wegen. Daß sie um den Preis des Lebens gelingt, diese Paradoxie bleibt ihm freilich eingeschrieben.

 

Bettina Schulte - Badische Zeitung


Südkurier, 25.4.1998

 

 

Ossi-Land ist Überall

"London - L. Ä. - Lübbenau" in Freiburg

Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör." (Wilhelm Busch) Sagen's wir mit anderen Worten: Die Marktwirtschaft schafft Trinkkonsorten. Ein Konsortium - so steht es im Lexikon - ist eine "Gelegenheitsgesellschaft, meist bürgerlichen Rechts, gebildet von Banken (Konsorten) zur Durchführung eines bestimmten Geschäfts."
Wenn nun aber zwei Geschäftsleute, die miteinander verheiratet sind, als Möchtegern-Überlebenswirte in der eigenen Garage zu ihren einzigen und Stammkunden werden, dann haben sie entweder den notwendigen Kapitaltransfer nicht verstanden oder sie sind tatsächlich dümmer, als die Polizei erlaubt. Was ist mit diesem eigentlich liebenswerten Paar los, das hier so draufgängerisch auf Marktwirtschaft macht in der "Kamera", der kleinsten Bühne. des Freiburger Stadttheaters? Verräterisch schon sind ihr Name und ihre Sprache. Das Ehepaar heißt Gretschke und spricht ein Niederlausitzer Dialekt-Kauderwelsch. Die zwei sind Ossis und haben ihre Träume: "Die erste Million ist die schwerste." Und einmal im Leben muß man auch Fehler machen können.

Der Regisseur in Freiburg hat beide Töne getroffen: den rüden Umgangston und die leise Zärtlichkeit.

Sogenannte Wende 1989. Oliver Bukowski, der arme Mann von Cottbus, Jahrgang 1961, beginnt zuschreiben: "Die Halbwertszeit der Kanarienvögel" ist sein erstes Stück, uraufgeführt in Schwedt 1991. Und mit preußischer Disziplin liefert er seither jährlich mindestens ein Stück ab. In diesem Jahr wurde sein Frauenmonolog "Nichts Schöneres" zu den Mülhimer Theatertagen eingeladen. Am erfolgreichsten bisher aber waren seine Gretschkes, die in seinem häufig nachgespielten Zweipersonenstück "Londn - L.Ä. - Lübbenau" ums Überleben kämpfen als Kleinstunternehmer.

Eine Attacke gegen den neuen Manchester-Kapitalismus? Oder, wie der Bukowski-Entdecker Jörg Milhan, Dramaturg am Berliner Ensemble, formulierte: ein "postsozialistisches Salonstück?" In der winzigen Freiburger "Kamera" blicken wir hinunter auf die Bühne wie durch ein Fenster hinein in eine Wohnküche. Ossi-Land ist überall, auch im Westen. Ein Gasherd, ein Küchentisch mit Wachstuchdecke, dazu eine armselige Couchecke im Stil der sechziger Jahre und immer läuft der Fernseher; Lottofee und Werbeschönheiten nähren ständig die Hoffnung auf ein zukünftiges Glück. Endlich einmal nach Sardinien verreisen wollen die Gretschkes, einmal nur den großen Lottotreffer machen. Oder wenigstens das Schicksal als Selfmadepaar in die Hand nehmen und einen Getränkeshop gründen um nicht ins Loch der Arbeitslosigkeit zu fallen.

Sind das sozialkritisch gemeinte Bühnenexistenzen wie viele andere? Viel mehr; ganz anders. Was Bukowski in seinem "Hardcoreschwank" bewegt, ist die Geschichte einer "Liebesbeziehung unter dem Außendruck der Verelendung". Denn wähnend die beiden . Gretschkes vergeblich auf Kunden und Lottogewinne warten;haben sie nichts anderes als sich selbst, um einander glücklich zu machen. Mit rüdem Sex und Rotkäppchen-Sekt. Mit Speckeier-Frühstück und Küßchen-Spielen. Er greift ihr untern Minirock: "Benimmst dich wie 'ne Burg." Sie erklärt ihm die Zartheit des weiblichen Geschlechts anhand der Unterwäsche: "Bei uns ist immer ein Blümchen eingestickt." Es ist die Liebe zum Detail, zum Kleinen, zum kleinen Glück und zum kleinen Menschen, über den die Globalisierung hinwegrollt, was Bukowskis Stück trotz rauher, gewaltsamer Dialoge, so liebenswert macht.

Karsten Schiffler, der Regisseur in Freiburg, hat beide Töne getroffen den rüden Umgangston und die leise Zärtlichkeit, die sich immer wieder dazwischen entwickelt. Zwei Menschen die sich lange kennen, sind immer noch zum Spielen aufgelegt. Dina Sikiric langt herzhaft zu, wenn sie sich an ihren Mann heranmacht. Thomas Hinrich ist, obwohl ihm alles mißlingt. kein Freund von Traurigkeit. Rührend ist es anzusehen, wie sie in ihrer Garage vor dem Trabi umherwuseln, um im Rausch frisch gelernter Marketing-Strategien alles kundenfreundlich herzurichten mit Lichterkette, Cocktail-Häppchen, Zahnpasta-Lächeln und Werbeschild: "Zwischen Leber und Milz paßt immer ein Pils!"

 

Und als kein Kunde kommt, haben sie immer noch einen irren, verzweifelten Spaß an ihrer vergeblichen Werbe-müh'. Und weil der Spaß nicht helfen tut, zerlegt der Mann gezielt die Wohnküche und hackt sich beim Computerspiel in eine abartige Mord-Lust. Und weil auch das wenig nützt, hilft doch nur wieder das kleine Glück beim Entenbraten und Kuscheln. Aber weil der Gasherd nicht abgeschaltet ist, werden die Gretschkes ihren Lottogewinn nie genießen können. Aus der Traum. Ende eines kleinen, eindrücklichen Theaterabends.
Siegbert Kopp