Freiburger Theater

Jubiläum

Von George Tabori


"Ein Friedhof am Rhein, heute, wo die Toten dazu verurteilt sind, sich dessen zu erinnern, was sie lieber vergessen würden, nämlich den achten Kreis der Hölle. Die meisten Witzeerzähler beginnen immer wieder mit "Unterbrechen Sie mich, wenn Sie den schon kennen", aber man kann die Toten nicht daran hindern, ihre Witze wieder und wieder zu erzählen. Die Witze der Toten und ihr Gelächter, nicht das homerische, sondern das bittere, werden als Unterhaltung empfohlen für Nekrophobe, Exorzisten, Gespensterjäger, frustierte Liebende und den Rest der schweigenden Mehrheit.

Jeder dieser Witze (oder Berichte) beruht auf Fakten, und mein herzlicher Dank gilt Hanne Hiob für dir Zusammenstellung, aber stimmen wir versuchsweise überein, daß ein stockendes Herz, wenn eine Klingel geht, nicht weniger dokumentarisch ist, als das gedruckte Wort."
George Tabori

 

Premiere am 11. April 1997 im Schauspielhaus Kurbel


Arnold, ein Musiker: Ullo von Peinen

Lotte, seine Frau: Dina Sikiric

Mitzi, ihre Nichte, Spastikerin

Otto, ein Friseur: Michael Schmitter

Helmut, seine Frau: Thomas Hinrich

Jürgen, Helmuts Neffe: Indo Biermann

Der Geist von Arnolds Vater: Helmut Grieser / Ueli Schweizer

Wumpf, ein Totengräber: Günter Knecht

 

Regie: Karsten Schiffler

Bühne: Daniel Roskamp

Kostüme: Stefanie Schütz

Musik: Martin Magestro

Dramaturgie: Martina Michelsen



 

14.4.1997

 

Karsten Schiffler inszenierte George Taboris Stück "Jubiläum" in Freiburg
Eine Komik, die ins Grauen mündet

Ob das ein Stück "zum Verlieben" ist, wie Regisseur Karsten Schiffler vor der Premiere sagte, steht dahin. Liebe auf den ersten Blick kann es jedenfalls nicht sein. Vor der Liebe kommt das Entsetzen. Wie ihm begegnen? Mit Witz, sagt George Tabori. Denn der Inhalt jedes Witzes ist eine Katastrophe. Etwas Todernstes im buchstäblichen Sinn des Wortes. Kennen Sie den: Wie passen 20 Juden in einen VW? Drei hinten, zwei vorne, der Rest in den Aschenbecher.

Diesen grausamen Witz schätzt Tabori, dessen Vater und andere Verwandte in Auschwitz vergast wurden, so sehr, daß er in seinem Stück "Jubiläum" als Leitmotiv auftaucht. Galgenhumor? Eine Zumutung, eine Tabuverletzung, eine obszöne Geschmacklosigkeit - aber vielleicht die einzige Möglichkeit, dem Holocaust in der wiederholenden Wort-Tat standzuhalten, statt ihn sich mit allseits abgenutzten Betroffenheitsritualen vom Leibe zu rücken. In dem einen selbst erschreckenden Lachen mag jeder den kleinen Nazi in sich entdecken und sich zugleich kathartisch von ihm befreien, denn - der entscheidende Perspektivenwechsel -: Es ist der Jude, der ihm den Witz erzählt, nicht der grölende Stammtischbruder.

Der Judenwitz des Juden

Schiffler, der junge Berliner Regisseur, der "Jubiläum" am Freiburger Schauspielhaus Kurbel inszeniert hat, weicht Taboris verzweifelt groteskem Humor, seiner leidvollen Lust am Makabren nicht aus; ohne einem hysterisch überdrehten Klamauk zu verfallen, der für diese krasse Farce auch denkbar wäre.

Menschen sind es, die er auf die Bühne stellt; weder Monster noch Unschuldslämmer, weder Bestien noch Märtyrer, weder schwarz noch weiß, auch wenn Stefanie Schütz' Kostüme dies nahelegen: Der Neonazi Jürgen trägt dunkel, während die Toten, deren Gräber er schändet, ganz hell gekleidet sind: eine Mischung aus Gespenstern, Sommerfrischlern und Clowns; Wiedergänger, lichtvoll herausgetreten aus dem Schatten der Geschichte, nur ein wenig ramponiert. Dem einen fehlt, schwarzgeschminkt, die Nase, dem anderen eine Wange, der dritten ein Stück vom Mund. Sie heißen Lotte, Arnold, Otto, Helmut, Mitzi und sind: ein Judenpaar, ein Schwulenpaar, ein spastischer Krüppel.

Die Toten leben. In Taboris (Alp-) Traum, einem "Friedhof am Rhein", den der Bühnenbildner Daniel Roskamp als eine Art überdimensionalen Sarkophag aufgefaßt hat, mit schweren Samtvorhängen ringsum und, schöner Kontrast zur Feierlichkeit des Rahmens, einer Menge Pappkartons als Grabstätten - an diesem imaginären Ort sind alle Grenzen verschoben, wenn nicht aufgehoben: die zwischen Tätern und Opfern, Gut und Böse, Vergangenheit und Gegenwart.

Das "Jubiläum", mit dem Tabori 1983 auf seine Weise der Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 50 Jahren gedachte, hat der Regisseur in die Jetztzeit, anno 1997, verlängert. Gestern ist heute, ob seit diesem Gestern 50 oder 63 Jahre vergangen sind. Jede historisierende Distanz wäre fehl am Platz. Die Ermordeten des Dritten Reiches können und dürfen nicht ruhen. Taboris (in drei Fassungen vorhandenes) Episodenstück, dessen zwölf Szenen sich zu einer Handlung nicht fügen, ist auch ein Appell an das kollektive Gedächtnis. Und Erinnern ist für ihn ein sinnlicher, ein leiblicher Akt. Tabori glaubt an das Theater.

Auch Schiffler glaubt an das Theater, an seine nicht nur sprachlichen Möglichkeiten. Bei "Jubiläum" setzt der Regisseur konsequent und einleuchtend auf Musikalisierung; für den Soundtrack aus düster-schweren Rock-, süffigbeschwingten 20er-Jahre und weihevollen Wagner-("Parsifal"-) Klängen ist Martin Magestro verantwortlich. Die Musik rhythmisiert, strukturiert die Inszenierung, gibt ihr Atmosphäre und so etwas wie eine Choreographie, öffnet den Raum der Erinnerung.

Starke Theatermomente

Schwer Erträgliches kommt da zutage: Wie Helmut sich aus Scham und Schuldgefühlen erst beschneiden ließ und dann erhängte. Wie sich sein Geliebter, ein rassistischer Friseur, daraufhin ertränkte. Thomas Hinrich und Michael Schmitter geben das schwule Paar - darf man das sagen? - hinreißend komisch. Lotte hatte ihren Arnold und das Leben überhaupt über, wurde dafür aber mit ihrem Tod, einer "prächtigen Groteske" entschädigt. Wie Dina Sikiric aus einem großen Karton halb ironisch, halb verzweifelt um ihr Leben telefoniert, während das Wasser im Gehäuse steigt und die Menge draußen teilnahmslos vorüberflaniert, das gehört zu den stärksten Momenten der bemerkenswerten Inszenierung: die bitterböse Komik der Situation kippt jäh ins Grauen ab. Auch Lottes Friseurbesuch ist so ein Augenblick: wenn Otto ihr in die Haare fährt ("Schuppen brauchen eine starke Hand") und diese gleich büschelweise ausrupft.

Ullo von Peinens Arnold ist eher eine rührend tragische Gestalt, die den Tod des Vaters in Auschwitz nicht verwunden hat. Ingo Biermanns wohltuend weit von jeder Knallcharge entfernter Jungnazi Jürgen tobt seine Lust an der Gewalt in einer furiosen Szene aus: ein furchterregender Vertreter der neuen Spaßkultur. Den schwersten Part hat Sabine Bräunings Mitzi zu tragen, die den Kopf in den Ofen gesteckt hat, als sie den Brief bekam: "Wieso hat man dich damals vergessen?" 19 sinnlos erhängte Kinder muß sie spielen und deren Peiniger dazu. Das geht hart an die Schmerz- und auch an die mimische Grenze der Schauspielerin: Der Horror kommt schieläugig daher.

 

Das letzte Wort haben in Schifflers Inszenierung nicht die Opfer, sondern die Täter. Der Totengräber (Günter Knecht), der nicht nur auf dem Friedhof für Ordnung ist, murmelt etwas von "anderen Kanaken". Das sei nicht dasselbe, murmelt Jürgen. Wer weiß.
BETTINA SCHULTE - Badische Zeitung


14.4.1997

 

 

Danse macabre

"Jubiläum" von George Tabori am Freiburger Theater

Die Vergangenheit mag noch so gut verpackt und eingesargt sein, vergessen läßt sie sich nicht. Die Leichen, die Deutschland nach Hitler und Holocaust noch im Keller hat, tauchen in den Erinnerungsräumen des jüdischen Theatermachers George Tabori immer wieder auf - als grotesker Danse macabre.

Am 30. Januar 1983 erblickte das Publikum des Bochumer Schauspielhauses die Vergangenheitsgespenster. draußen vor der Tür. Durch die Glaswand des Kammerspielfoyers sahen die Zuschauer, wie draußen auf der Straße ein zum Clown verschminkter Jude flanierte und ein junger Neonazi seine faulen Parolen, ans Theater schmierte.

In der Bochumer Uraufführung, von Taboris "Jubiläum" vermischte der Autor als Regisseur seines Stückes Theater- und Straßenrealität. Vierzehn Jahre später nun - nach Solingen und Hoyerswerda - wirken solche Aktualisierungsversuche wie harmlose Taschenspielertricks des Theaters. Der alltägliche Neofaschismus. hat solche ästhetischen Bemühungen obsolet gemacht. Das Theater zieht sich auf sich selbst zurück und muß sich überlegen, wie es die Vergangenheit durch seine. ureigenen Bühnenmittel verlebendigen kann.

In seiner Freiburger Inszenierung von Taboris "Jubiläum" jetzt verzichtet der junge Berliner Regisseur Karsten Schiffler auf alle spektakulären Außeneffekte. Zu Beginn läßt er die. Vergangenheit ruhen, hält sie verpackt in Kisten und Kästen. Auf die laubbedeckte Bühne hat Daniel Roskamp (Bühnenbild) Pappschachteln und Kartonkisten gestellt: Alles ist möglich. Ein Kunstraum wie mit einer Bühnenarchitektur von Fritz Wotruba. Oder ein Friedhof. mit Grabstein. Auf einer der Kisten steht "Sau", auf einer anderen "Spaß" - beides gesprayt in der bekannten Runenschrift der Nazis. Faschismus. oder Spaßgesellschaft: Beides ist möglich, changiert auf gefährliche Weise. Ein junger Mann im Wehrmachtsmantel schwingt sich, von der ersten Reihe der aufsteigenden, Zuschauertribüne im Schauspielhaus "Die Kurbel" über die Balustrade, turnt sich behende auf die Bühne und sprayt "Jude verreke" auf einen Grabsteinkarton.

Da öffnen sich die Kisten-Gräber, die Toten erwachen, ein weißgewandeter Lemure korrigiert lakonisch: ""Verrecke" mit "ck", mein Junge." Ein Totentanz hebt an, eingeschwärzt durch den beißenden, jüdischen Eigenwitz von George Tabori. Erinnerungen funktionieren. nicht nach den regeln der Logik, sondern wie Alpträume. Die jüdischen Frauen und Männer, die hier von ihrem Leben, Lieben, Leiden und Sterben erzählen, vertauschen die Rollen, vermischen Vergangenes mit Gegenwärtigem, Reales mit Irrealem, Komik mit Ernst. Daß die Lebenstragödie, von denen die Figuren erzählen, nie ins Melodramatische abgleiten, daß die Komik immer einen Aberwitz behält, dafür steht das durchweg gefühlsintelligente Spiel, des Freiburger Ensembles. Ein Beispiel für viele nur: Ein Pappkarton. wird zur Telefonzelle - und allein durch die Kraft ihres verzweifelten Erzählens macht Dina Sikiric als Jüdin Lotte Stern den ganzen Irrsinn ihrer Situation deutlich:

In einer Telefonzelle gefangen zu sein, weil die Tür klemmt, Hilfe herbeizutelefonieren, weil die braunen Wasserfluten des deutschen Rheins ihr schon bis zum Halse stehen und niemand hilft ihr, weil alle die Bedrohung nicht ernst nehmen, sondern für einen Witz halten.

 

Regisseur Karsten Schiffler und seinen Darstellern gelingt es in dieser Inszenierung, die grausig-poetische Schwere solcher Vorgänge herzustellen, wie sie. Tabori inszenieren wollte: "Ein Friedhof am Rhein, heute, wo die Toten dazu verurteilt sind, sich dessen zu erinnern, was sie lieber vergessen würden, nämlich den achten Kreis der Hölle."
SIEGBERT KOPP - Südkurier


Kultur Joker

Zum Heulen komisch

Taboris "Jubiläum" am Freiburger Theater

Deutschland in einer Nacht im Herbst: Auf einem jüdischen Friedhof in der Nähe von Vater Rhein treibt ein junger Neo-Nazi sein Unwesen: Er stürzt Gräber um, beschmiert die Gedenksteine. Versucht es zumindest. Aber schon bei den dümmsten Parolen unterlaufen dem Polterer (Ingo Biermann) die gröbsten Fehler. Am Hakenkreuz vergißt er ein Häkchen (oben links) und bei "Juda verrecke" fehlt glatt das "c". Der Fehler läßt sich beheben: Aus einer Pappschachtel-Gruft steigt eine bleiche Gestalt hervor und verbessert den jungen Kerl. Als er begreift, was sich um ihn herum abspielt, flüchtet der stramme Bursche. Ein Spuk der Toten, verjagt den anderen, den der Lebenden.

Überhaupt läßt George Tabori in seinem Stück "Jubiläum", das Karsten Schiffler im Schauspielhaus Kurbel für das Freiburger Theater inszenierte, den Friedhof als einen Ort erscheinen, an dem sich Schicksale kreuzen. Historisch gesehen das der deutschen Geschichte und Gegenwart. Und in Taboris Theaterwirklichkeit kreuzen sich auf dem Friedhof die Schicksale von Opfern, von Menschen, die in ihrem früheren Leben nichts als ihre Opferrolle gemeinsam hatten.

Tabori hatte für sein Stück, das 1983 an den 50. Jahrestag der Machtübernahme durch die Nazis erinnern sollte; zunächst eine Collagenform im Kopf. Vorbild war Brechts "Furcht und Elend des 3. Reiches". Herausgekommen ist dann aber doch ein Werk mit durchgängigen, Handlungssträngen. Da ist zum Beispiel Arnold, der Musiker (Ullo von Peinen) und Lotte, seine Frau (Dina Sikiric). Ein glückliches und Sorgloses Leben hatten sie einmal geführt und natürlich nicht gedacht, daß die braune Horde ihnen etwas antun könnte. "Ein wenig einsam", fand Arnold den Führer - aber mehr auch nicht. Aber es gibt noch andere Bewohner auf dem Friedhof: Otto, der Friseur (Michael Schmitter), der eigentlich ganz unpolitisch ist und mit Juden nichts zu tun haben will. Aber er ist homosexuell und deshalb ist auch er ein Opfer, genauso wie Helmut (Thomas Hinrich), der sich wegen seiner devoten Veranlagung und aus Solidarität mit den Juden beschneiden läßt.

Dazu kommt noch Mitzi (Sabine Bräuning). Sie ist ein behindertes Kind von heute, Opfer der neuen Nazis, und ein jüdisches Kind, das Opfer von alten Nazis wurde. Und dann stiefelt immer wieder der Totengräber Wumpf (Günter Knecht) über die Bühne. Pedantisch genau gräbt er seit Jahrhunderten Löcher - ein wirklicher Meister aus Deutschland. Karsten Schiffler rückt der Trauer-Collage mit einer gehörigen Portion Sinnlichkeit zu Leibe.

Mit trübseligem Betroffenheitspathos hat der junge Regisseur nichts am Hut. Sein Tabori ist das, was er wohl auch sein sollte: Eine abgrundtief spöttische Farce auf die unendlich zynische Wirklichkeit. Tabori selbst hat diesen schwarzen Humor, diesen sarkastischen Zungenschlag vorgegeben. Die Opfer selbst erzählen sich bevorzugt die immer gleichen, abgeschmackten Judenwitze. Diese Kalauer sind dann die Fallhöhe, für die wirklich düsteren, sentimentalen Augenblicke des Stückes.

So unfaßbar absurd, zum Heulen komisch, werden Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Geschichte selten faßbar. Von der ersten bis zur letzten Minute eine packende Inszenierung und ein Höhepunkt der bisherigen, Schauspielsaison in Freiburg.

 

dam 


17.5.1997

 

 

Ein anonymer Spender machte es möglich

Freikarten für Schüler zum Theaterbesuch

Weil ihn die Freiburger Inszenierung des Theaterstücks "Jubiläum" von George Tabori so beeindruckte, hat ein anonymer Spender dem Freiburger Stadttheater 25000 Mark zur Verfügung gestellt. Der Verwendungszweck: Schüler sollen das Stück kostenlos besuchen und sich mit seiner Thematik, der Judenvernichtung, auseinandersetzen.

Auch die Klasse 10b des Rotteck-Gymnasiums profitierte von der Spende und beschäftigte sich anschließend im Deutschunterricht mit dem "Jubiläum". Im Vordergrund stand zuerst Taboris eigenwilliges Humorverständnis. Daß da Juden perverse Judenwitze erzählen und auch noch darüber lachen, fanden viele "krass". "Gerade das ging mir jedoch nahe", wurde entgegnet. Die Mischung aus Spott und Satire könne eben niemanden kaltlassen und würde die Zuschauer besonders sensibilisieren.

Die 10b behandelt den Nationalsozialismus auch parallel im Geschichtsunterricht. Taboris Werk empfand sie als willkommene Ergänzung, mehr noch: "Ich habe nach dem Stück Leute mit Tränen in den Augen gesehen", berichtete einer, "so was kann ich mir im Unterricht nicht vorstellen." Den Perspektivenwechsel und den Sarkasmus, den die Bühneninszenierung transportiert, könne ein Lehrer eben nicht bewerkstelligen. Der Vorteil des Theaters: zum einen emotionale Betroffenheit, gleichzeitig aber auch ganz konkrete historische Authentizität durch den Einbau von Filmschnipseln in die Inszenierung.

George Tabori ist selbst Jude, sein Vater und ein Teil der Familie wurden in Auschwitz vergast. Der Einakter wurde am 30. Januar 1983 zum 50. "Jubiläum" der nationalsozialistischen Machtergreifung in Bochum uraufgeführt.

Tabori hat für sein Stück. ein äußerst vielschichtiges Figurengeflecht gefunden. Auf mehreren Zeitebenen begegnen sich Juden und Deutsche, die Schauspieler tauschen permanent die Rollen und stellen so die Zuordnung von Opfern und Tätern immer wieder in Frage. Vor allem aber bedient sich Tabori einer höchst makabren, rassistischen Sprache, die auch von den Juden benutzt wird. Heroisches Pathos und vordergründige Moral werden. dadurch konsequent. vermieden. Bei den Schülern ließ dieses Konzept einige Verwirrung entstehen. Besonders die Figur des Juden Arnold Stern, der sogar Verständnis für einen Neonazi aufbringt, auf dessen sozialen Hintergrund hinweist, stieß einigen Schülern auf. "Warum kennt der denn gar keine Rache?", wurde erstaunt gefragt. Ebenso, warum jemand, der den Holocaust erlebt hat, sich seinerseits zu rassistischen Äußerungen gegenüber Polen hinreißen läßt.

Dennoch, oder gerade deswegen, entstand in der Klasse eine lebhafte Diskussion über Rollenverhalten, gerade auch unbewußtes. Dazu paßte, daß ein Schüler einmal von der "jüdischen Rasse" sprach und damit ungewollt, wie der Lehrer Karl-Helge Deutrich betonte, genau in die von der nationalsozialistischen Ideologie aufgestellte Begriffsfalle tappte. Für den Deutschunterricht war das Theatererlebnis jenseits des Buchtextes natürlich von besonderem Interesse. Die Inszenierung von Karsten Schiffler hat den Rotteck-Schülern übereinstimmend gefallen. Sie lobten vor allem die eindrucksvolle Atmosphäre aus Dekor, Musik sowie Farb- und Lichtdramaturgie, die zum Inhalt auch passende Bilder konstruierte, die bei der, bloßen Lektüre nicht entstehen. "Weißt du, was passiert, wenn ein Lied zu Ende gesungen ist?"' fragt Arnold Stern in "Jubiläum" einmal. Die Antwort: "Es bleibt."

Taboris Sprengkraft, hat bei den Jugendlichen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

 

rul - Badische Zeitung