Bremer Theater

Nur eine Scheibe Brot

Von Rainer Werner Fassbinder


Deutsche Erstaufführung

Fricke: Bist du Jude?
Saalingen: Nein, natürlich nicht. Was für eine dumme Frage, du verzeihst schon.
Fricke: Ja, natürlich.
Pause
Saalingen: Wie kommst du überhaupt darauf? Na ja, daß ich Jude sei?
Fricke: Ach so, das. Konversation, weißt du.
Saalingen: Ist dir nicht gut? Ich meine hast du Sorgen?
Fricke: Im Gegenteil. Ich habe einen Auftrag.
Saalingen: Nein, wie schön. Was denn?
Fricke: Ein Film über Auschwitz.

 

Premiere am 30. April 1996, Concordia


Mit Carsten Andörfer, Irene Kleinschmidt, Gabriele Möller-Lukasz, Dirk Plönissen, Andreas Herrmann, Andreas Euler, Stefan Lahr, Stefan Drücke, Heiko Senst, Christian Kruse, Andreas Zabel

Regie: Karsten Schiffler

Ausstattung: Daniel Roskamp

Dramaturgie: Marion Hirte




10. Mai 1996

 

 

 

Bremen, Concordia

"Nur eine Scheibe Brot" von Rainer Werner Fassbinder

Der erst vor kurzem veröffentlichte Erstling zeigt die Skrupel und Zweifel eines jungen Regisseurs, der einen Film über Auschwitz drehen soll. Läßt sich das Grauen nachspielen, darf man es gar ästhetisieren? Er findet bei keinem Verständnis, jeder beglückwünscht ihn zu dieser großen "Chance". Für die deutsche Erstaufführung ließ sich Karsten Schiffler ein Simultanbühnenbild bauen - vorn ein Café und ein Schlafzimmer, dahinter ein Filmstudio. Entstanden ist eine strenge, in ihrer Kargheit schlüssige Inszenierung.


 

 

 

4. Mai 1996

Regisseur in der Krise
Spät entdecktes Fassbinder-Stück in Bremen

Junger Regisseur in quälender Krise. Hans Fricke arbeitet am Spielfilm über das Konzentrationslager Auschwitz. Von Drehtag zu Drehtag tiefer versenkt er, sich in die körperlichen und seelischen Nöte der jüdischen Häftlinge. Immer empfindlicher reagiert er auf Oberflächlichkeit und abwiegelndes Gerede der Umgebung. Die Schauspieler sehen in den Todeskandidaten Rollen, deren Ängste sie mit dem Kostüm bei Drehschluß abstreifen. Fricke, gelingt das nicht. "Ich inszeniere doch wie die SS damals", klagt er sich selber an.
Mit der Zentralgestalt der 1966 geschriebenen Szenen hat der damals 20jährige Rainer Werner Fassbinder sicher kein Selbstbildnis beabsichtigt. Doch etwas vom eigenen inneren Ringen des problembewußten Künstlers in der Verdrängungsphase des westdeutschen Wirtschaftswunders steckt darin. Die Handlung des Stückes, vor seinen bekannten Bühnenwerken und Filmen entstanden, ist Skizze geblieben. Die angerissenen Charaktere liefern kaum mehr als Stichwort für Denkweisen vor dem politischen Aufbruch von 1968.
Lange nach Fassbinders Tod 1982 wurde das Manuskript wiederentdeckt. Der Bregenzer Uraufführung 1995 folgt jetzt im Bremer Concordia-Theater die deutsche Premiere. Daniel Roskamps Ausstattung des simultanen Spielraums trifft gut das Zeitmilieu. Licht hebt jeweils den Schauplatz heraus: rechts die karge Atelierkantine, erhöht ein Ausschnitt des Vorführsaals, links Frickes Doppelbett als Privatsphäre, hinten ein Schienenstück der Auschwitz-Rampe mit Kamera und Scheinwerfern.

Karsten Schiffler führt unaufwendig Regie. Hauptdarsteller Carsten Andörfer macht in Mimik, Geste und Tonfall das Bauchgrimmen des Intellektuellen der Sohnesgeneration bis an den Rand der Selbstzerstörung glaubwürdig. Irene Kleinschmidt spielt die hübsche, blonde Hanna, die den Bruch ihrer Beziehung zu Hans nicht begreift. Mehr gestattet der Text weder ihr noch Andreas Herrmann, der drei Vaterfiguren der Verdränger, Gegenrechner und Greuel-Leugner anreißt. Dirk Plönissen malt in gegensätzlichen Charakterfarben den erfolgshungrigen Produzenten ohne Verständnis für die Skrupel des Regisseurs und einen scheuen Homosexuellen. Das Thema dieser verfolgten Gruppe streift das Film-Spiel im Theater-Spiel bloß. Um "Nur eine Scheibe Brot" streiten die KZ-Insassen. An dieser scheinbaren Nichtigkeit hängt das Leben der ausgehungerten, vom Terror der Lagerleitung in ihrer menschlichen Würde gedrückten Häftlinge. In die Zeitstimmung von 1966 paßte der Rückblick auf das dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht. Die Bremer Bühne betont die ungebrochene Aktualität 50 Jahre nach Kriegsende. "Nur eine Scheibe Brot" bewirkt eine Stunde Nachdenken auf harten Holzbänken. Mehr dramatische Kraft geht davon nicht aus.
Hans Berndt - Mainecho


 Nordwest-Zeitung, den 2. Mai 1996

Das Unfaßbare paßt nicht ins Bild

Deutsche Erstaufführung in Bremen: Rainer Werner Fassbinders "Nur eine Scheibe Brot"

 

Von Ernst Goetsch
Bremen. "Was da vor Deinen Augen passiert, ist doch ungeheuerlich; da fühlt man doch etwas. Ich meine, man müßte etwas fühlen" sinniert der junge Filmregisseur Hans Fricke, der Auschwitz und seine KZ-Greuel nachgestalten soll. Doch Joe, der Kameramann, reagiert nüchtern-gelassen: Nein, er fühlt sich nicht beunruhigt durch das, was er da aufs Zelluloid bannt. Fricke beginnt zu begreifen, daß er eine künstlerisch unlösbare Aufgabe übernommen hat: den Versuch, nachzugestalten, was nicht nachempfindbar zu machen ist.
Mit seinem Manuskript "Nur eine Scheibe Brot" erreichte der damals 20jährige Rainer Werner Fassbinder 1966 in einem dramatischen Wettbewerb einen Dritten Preis, doch das aus diesem Skript filtrierte Drehbuch Fassbinders wurde von der Berliner Filmakademie abgelehnt - und es schmorte als Erstlingswerk des furiosen Wörishofeners über seinen Tod (1982) hinaus zwölf Jahre als Nachlaßpapier im Küchenschrank der Dichtermutter. Erst 1995 wurde Fassbinders frühes "Brot" uraufgeführt auf dem Bregenzer Theaterfestival: Für die deutsche Erstaufführung hat jetzt das Bremer Theater gesorgt: In der mausgrauen "Concordia" an der Schwachhauser Heerstraße (ein ehemaliger Kinosaal) warteten alte Weggefährten und ehemalige Bremer Wegbereiter am Dienstagabend auf: Sie wollen mit der Erstaufführung der "Scheibe Brot" eine Art Fassbinder-Renaissance einleiten - mit einer Podiumsdiskussion am 16. Mai ("Ich will doch nur, daß ihr mich liebt") sowie mit einer Filmreihe im Cinema Ostertor (13. und 20. Mai), außerdem mit Gesprächen nach den "Brot"-Vorstellungen im "Concordia" am 5. und 23. Mai.
Dort, in der "Concordia", hat Fassbinder zwischen 1969 und 1971, zu Zeiten von Generalintendant Kurt Hübner, mit dem Bühnenbildner Wilfried Minks und dem Bühnenmusiker Peer Raben ein Stückchen engagiert-kesser Bühnengeschichte geschrieben (mit eigener Version von Goldonis "Kaffeehaus", mit seinem Stück "Bremer Freiheit" und mit den "Pionieren von Ingolstadt" der Fleisser).
Der Versuch, noch einmal den Geist des früh vollendeten Fassbinder zu beschwören, endete bei der Premiere mit dem "Brot" so wie der in diesem Frühwerk beschriebene Versuch eines Filmregisseurs - unvollkommen! Aber das ist nicht dem jungen Gastregisseur Karsten Schiffler anzukreiden, der höchst behutsam Stimmungen abklopfend vom Detail her die zehn Szenen rund um eine KZ-Nachbetrachtung inszenierte. Insgesamt betrachtet erweist sich bei diesem Frühwerk Fassbinders, daß er, der überwiegend Filme meißelte, mit dem Theater stets ein wenig auf Kriegsfuß lebte (und deshalb, ins Theater Filmeffekte schweißte?). "Die Benutzbarkeit, die Ausbeutbarkeit von Gefühlen innerhalb des Systems, in dem wir leben" (Fassbinders Generaltenor) kommt mit der "Scheibe Brot" zwar nicht voll durch, wird auch vom Publikum nur freundlich-mäßig honoriert, doch bietet sie Anstoß genug zu intensiver Nachbetrachtung über Schatten untilgbarer Vergangenheit und Grenzen des Faßbaren.
Carsten Andörfer hat daran Anteil als ein sehr selbstquälerischer Regisseur Ficke, und auch Irene Kleinschmidt schafft Nuancen als seine Gefährtin, die sich ins Privat-Glatte zurückzuziehen wünscht. Am Rande ein paar Fehl- bzw. Überzeichnungen - so bei den Rollen des Regisseur-Vaters und des Produzenten. Schwamm darüber! Dieses Brot ist eben kein rundum griffiges Fassbinder-Kornpakt-Paket...